Sitzung: 01.07.2021 Kommunaler Beirat für die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen
Der Beiratsvorsitzende, Herr Dr. Ingenthron, erläutert den
Mitgliedern die Gründe zum Anlass des TOP im Form eines
Erfahrungsberichtes/Meinungsaustausches wie folgt:
Für die Menschen mit Behinderung haben die Maßnahme zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie –insbesondere der letzten beiden Lock-Downs zu einschneidenden Veränderungen in der Lebensweise geführt; dies insbesondere im Bereich von Wohlbefinden und Gesundheit.
Die Corona-Regeln waren gerade bei Entgegennahme von Teilhabeleistungen im Bereich der Besonderen Wohnformen nicht leicht umzusetzen. Das Personal wurde wegen der geforderten Einhaltung oft sich ändernder Corona-Verordnungen zusätzlich gefordert.
Unterstützung der Menschen durch gesetzliche Betreuer bzw. Verwandte in ambulanten Teilhabebereichen wurden erheblich erschwert.
Wichtige soziale Kontakte waren stark eingeschränkt. Teils entstand, gerade bei alleinlebenden Menschen, eine Isolation in vielen Lebensbereichen. Die seelische Verfassung der Menschen war zunehmend gefährdet sich in negativer Weise chronisch zu manifestieren.
Änderungen in Tagesabläufen (Wegfall von Arbeitstätigkeit, neue Tagesstrukturen etc.) wurden abverlangt. Diese Lebensänderungen führten gerade bei Menschen mit seelischer bzw. geistiger Behinderung zu viel Unverständnis und Unsicherheit.
Ängste sich mit dem Virus zu infizieren war -solange noch keine Impfung des Einzelnen erfolgte- stets präsent und verbunden an erforderlichen Schutzmaßnahmen Alltag geworden.
Gemeinsam wollen wir
uns im lokalen Behindertenbeirat mit dem Thema auseinandersetzen.
Hierzu haben sich
Herr Dieter Lange vom Diakoniezentrum Bethesda Landau
Frau Claudia Cuntz vom Caritas Förderzentrum St. Laurentius/Paulus Landau und
Frau Tanja Hammer von der Lebenshilfe Südliche Weinstraße Offenbach/Queich
bereit erklärt aus ihren fachlichen Teilhabebereichen einen kurzen Erfahrungsbericht vorzustellen.
Diakoniezentrum Bethesda Landau – Herr Dieter Lang:
Herr Lang erläutert, dass die Entwicklungen der vielen Corona-Verordnungen unterschiedlich verliefen – Sie waren anhand den aktuellen Gegebenheiten teils schwer umsetzbar.
Von Beginn an der Pandemie war oberste Prämisse, dass die in der Einrichtung sich befindenden Menschen von einer Infektion geschützt werden müssen.
Als negative Schutzmaßnahme zu beurteilen war, dass die Selbstbestimmungs-freiheit aller teils erheblich eingeschränkt werden musste. Dies erfolgte u.a. im Einvernehmen des Sozialleistungs-/ Einrichtungsträgers nur unter großen Kraftakt.
Die Menschen erfuhren eine plötzlich eingetretene Isolation, denn Sie durften teils Ihre Zimmer nicht verlassen.
Angehörige der betroffenen Bewohner mussten auf Abstand gehalten werden. Es gab ab und zu ungewöhnliche Wege Kontakte mit den Menschen/Angehörigen aufzunehmen – dies als Beispiel über Balkone, Fenster etc.
Des Öfteren gab es bei durch Unverständnis Diskussionen unter den Betroffenen.
Bei Menschen mit geistiger Behinderung war es –gerade in der Anfangszeit der Pandemie- schwer über die Leichte Sprache die Regeln zur Eindämmung der Corona-Pandemie verständlich zu machen. Dies führte oft zu Missverständnissen.
Digitale Angebote konnten schneller ausgebaut und zur Verfügung gestellt werden.
Herr Lang betonte, dass er die hohe Solidarität der Menschen zu den Einrichtungsbewohnern-/innen betonen möchte. Diese sei teils unglaublich beeindruckend gewesen.
Mit städtischen Vertreten (Verwaltung und Politik) gab es stets beim Austausch zur Umsetzung der Corona Maßnahmen ein gutes Miteinander.
Das Diakoniezentrum in Landau hatte unter Einhaltung der Corona-Regeln im Teilhabebereich der Menschen mit Behinderung keinen Infektionsausbruch.
Zum aktuellen Situationsstand kann Herr Lang sagen, dass die Umsetzung aller Maßnahmen für die Mitarbeiter im Diakoniezentrum sehr kräftezehrend waren.
Mit der aktuell gültigen Corona-Verordnung wird der Versuch gestartet „Schritt für Schritt“ sich einer normalen Lebensweise wieder anzunähern. Freiheitsrechte werden wieder geöffnet und Teilhabe soll in gewohnten Maße umgesetzt werden.
Bewohner-/innen und Mitarbeiter-/innen haben Ihre Impfung bereits erhalten; sofern deren Zustimmung erfolgte.
Es ist zu hoffen, dass die Delta-Variante (und weitere Virusvarianten) auf die Impfungen der Menschen wirken um damit keine so starken Einschränkungen im kommenden Herbst/Winter mehr auslösen.
Caritas-Förderzentrum St. Laurentius/Paulus Landau – Frau Claudia
Cuntz:
Frau Cuntz bekräftigt viele Erläuterungen von Herrn Lang. Gerne möchte Sie noch ein paar Ergänzungen hinzufügen.
Zu Beginn war nicht vorstellbar, dass sich die Pandemie auf einen so langen Zeitraum erstreckt.
Der stetige Wechsel an Änderungen der Corona-Verordnungen führte teils immer wieder zu Umsetzungsschwierigkeiten.
In einigen Wohngruppen ergab sich ein erhöhtes Infektionsgeschehen. Insbesondere bei der zweiten Welle ging unter den Bewohner-/innen und Mitarbeiter-/innen die Angst einer Corona Infektion umher.
Das Aggressivitätsniveau innerhalb der Wohngruppen war aufgrund fehlender Abwechslung und Ausgleichaktivitäten sehr hoch.
Freizeitmaßnahmen mussten zum Schutze aller erheblich eingeschränkt werden.
Im teilstationären Bereich der Tagesförderstätte fand kein Regelbetrieb mehr statt. Das Hilfeangebot war auf ein Mindestmaß (Notbetrieb) heruntergefahren. Als Folge musste von den Angehörigen ein Großteil an Unterstützung der betroffenen Menschen geleistet werden. Das war für alle Beteiligte ein großer Kraftakt.
Die Corona Nachwirkungen sind unter den Menschen deutlich spürbar. Viele Bewohner-/innen sind extrem müde; was in Ihrer Aufmerksamkeit und Motivation bemerkbar ist. Dies ergab sich u.a. durch das andauernde Wohnen in den gleichen Räumen bzw. der Gruppe. Die Zeit hatte wenig Lebensflexibilität zu bieten. Daher sehnen sich alle Bewohner-/innen wieder nach einem Stück Normalität; insbesondere Ihre Selbstbestimmungsfreiheit erlangen zu können.
Die Zeit bisher zurückblickend, kann Frau Cuntz feststellen, dass die Mitarbeiter-/ innen extrem viel geleistet haben.
Lebenshilfe Südliche Weinstraße Offenbach/Queich – Frau Tanja Hammer:
Frau Hammer bezieht sich zu vielen bereits angesprochenen Themen auf Ihrer beiden Vorredner. Sie wolle diese durch folgende Punkte noch ergänzen:
Die Werkstatt für behinderte Menschen wurde in der Lock-Down-Zeit in einen Schichtbetrieb umgestellt – hierbei wurde natürlich berücksichtigt, dass sich die Menschen einer Schicht auch in der gleichen Wohngruppe befanden.
Das führte ab und zu dann in negativer Hinsicht auch dazu, dass einige
Mitarbeiter-/ innen während der Umsetzung der Schichtbetriebe nicht mehr in Ihrem gewohnten Arbeitsgruppenbereich arbeiten konnten. Entsprechend war das Konfliktpotential wesentlich erhöht – was wiederum neben dem „normalen“ Arbeitsbetrieb durch die pädagogischen Fachkräfte zusätzlich aufgefangen werden musste.
Folge der eingeführten Schichtbetriebe war des Weiteren eine reduziertere Auftragslage bei den Kunden – hierdurch konnten den Mitarbeiter-/innen nicht mehr der gewohnte Lohn ausgezahlt werden; es erfolgten Lohnkürzungen. Dabei kam es bei einigen Menschen sogar soweit, dass diese in den Bezug von ergänzenden Leistungen der Grundsicherung vielen – dies führte zu Existenzängsten der Menschen.
Um die Hygienemaßnahmen bei täglich 800 Menschen u.a. bei der zur Verfügung Stellung von Mundschutzmasken, Desinfektionsmittel einhalten zu können, waren zusätzliche finanzielle Mittel von Seiten der Lebenshilfe zu erbringen.
Insgesamt konnte in Wohngruppenbereich bzw. WfbM festgestellt werden, dass unter den Bewohner-/innen bzw. Mitarbeiter-/innen wegen fehlender Ausgleich- und Abwechslungsmöglichkeiten das Aggressivitätsniveau wesentlich erhöht war.
Dennoch waren die Wohngruppenbereiche - soweit es die Möglichkeiten zuließen - sehr kreativ.
Während der Zeit konnten viele Umbauten getätigt werden. Fernseher wurden in jedem Zimmer angeschafft, sodass jede(r) Bewohner-/in die Möglichkeit hatte, ein wenig Freizeit damit verbringen zu können.
Die Betreuer-/innen der Wohnbereiche und WfbM haben während der bisherigen Zeit eine beeindruckende Leistung erbracht. Entsprechend konnte festgestellt werden, dass anhand dieser Leistung eine Erschöpfung sichtbar ist.
Auch bei der Lebenshilfe war durch die vielen unterschiedlichen Corona Verordnungen und deren Undurchsichtigkeit bei der Umsetzung der geforderten Maßnahmen stets eine gewisse Unsicherheit spürbar. Ein ständiges Abstimmen der verantwortlichen Personen war hier erforderlich – was am Ende, mit viel Kräften und Einsatz, zum Wohle der Menschen stets zu guten Ergebnissen führte.
Mitarbeiter-/innen von Schulen als auch Kindertagesstätten waren wegen der Schließung aufgrund der Lock Down Zeiten leider in Kurzarbeit – es ist aber zu betonen, dass diese Mitarbeiter-/innen mit Ihrer freiwillig zur Verfügung gestellten Arbeitsleistung viele Lücken an Mehrarbeit schießen konnten.
Kindertagesstätten standen in großer Sorge. Das Kindeswohl musste auch unter den besonderen Corona bedingten und angeschlagenen personellen Schwierigkeiten stets gewährleistet werden. Mit Eltern war Kontaktaufnahme oft sehr schwierig.
Die Förderkinder hatte während der Lock-Down Zeit keine ambulanten Therapiemaßnahmen; das war insbesondere schwierig für Kinder die während der Zeit zum Schulübergang standen.
Das Personal ist sehr verbraucht und benötigt daher zusätzliche Erholung.
Es folgte der Gesprächsaustausch unter den anwesenden Beiratsmitgliedern:
Herrn Christian Kolain möchte den einen großen Respekt für die Arbeit in der Lock-Down-Zeit an alle Leistungserbringer und deren Personal ansprechen.
Er habe die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen mit Behinderung in ihrem häuslichen als auch stationären Bereich sehr isoliert und damit alleine waren. Das hat die Menschen sehr verändert.
Die Normalisierung muss so schnell wie möglich wieder erreicht werden.
Für die Politik ist u.a. die Herstellung der sozialen Gerechtigkeit eine wichtige Aufgabe.
Herr Dieter Lang betont, dass alle Menschen für eine Entscheidung zur Entgegenahme des Angebotes einer Impfung insbesondere für schwächere und kranke Menschen eine soziale Verantwortung übernehmen. Dies sollten Sie auch tun.
Bei Mitarbeitern-/innen die sich aktuell nicht impfen lassen, muss man weiter im Dialog bleiben und diese auf diese besondere soziale Verantwortung hinweisen.
Herr Andreas Boltz betont, dass wir das Ehrenamt in der Corona-Pandemie –besonders in den Lock-Down Zeiten- nicht vergessen werden darf. Hier wurde viel freiwillige Hilfe für schwächere und kranke Menschen erbracht.
Frau Susanne Burgdörffer teilt mit, dass das Personal der Leistungserbringer (insbesondere in den stationären Bereichen) stark „ausgebrannt“ ist. Es benötigt nun für die Zukunft ausreichend Erholungszeiten und positive Lichtblicke. Lichtblicke auf das Vergangene, durch die gelungene gemeinsame Hilfeleistung schwächerer und kranker Menschen, bei beachteter Ressourcenorientierung.
Frau Sarah Barry ist der Meinung, dass die EUTB, zusammen mit der Stadt, bei sehr viel Einsatz, die Menschen gut beraten konnten. Die Angebote wurden zielorientiert zur Hilfeunterstützung aufgebaut.
Die Nachfrage betroffener Menschen steigt aktuell stark nach psychischen Betreuungs-/ Unterstützungsangeboten – hierfür müssen dringend mehr Hilfeleistungen aktiviert werden.
Herr Dr. Ingenthron dankt allen drei vortragenden Personen. Er sehe, dass besonders in der sozialen Geschlossenheit aller anzuerkennen und hervorzuheben ist; insbesondere das Ehrenamt in seiner maximalen zur Verfügungsstellung an zeitlichen Ressourcen. Viele Menschen konnte in der schweren Lock-Down Zeit bei der Bewältigung ihrer Probleme geholfen werden.
Es war gut zu erkennen, dass alle in solch schweren Zeiten zusammenhalten können.