Beschluss: mehrheitlich beschlossen

Abstimmung: Ja: 15, Nein: 1, Enthaltungen: 0, Befangen: 0

Beschlussvorschlag:

 

1.   Der Stadtrat nimmt die historische Expertise des Archivs und Museums zur Kenntnis und stimmt folgendem Verfahren zu:

 

1.1 Die Verwaltung erarbeitet ein Konzept zur Kontextualisierung der 18 Straßen, Wege und Plätze, die nach Personen benannt wurden und deren Biografien als problematisch angesehen werden. Dieses wird bis zum 4. Quartal 2022 den Gremien vorgelegt.

 

1.2 Für die beiden Straßen (Hindenburgstraße und Kohl-Larsen-Straße), die kritisch zu hinterfragen sind und für die die Verwaltung die Straßenumbenennungen vorschlägt, wird die Verwaltung beauftragt, über den städtischen Beteiligungsrat ein Bürgerbeteiligungsverfahren einzuleiten, einen Zeitplan zu erstellen, juristische Folgerungen zu prüfen und die mit einer möglichen Straßenumbenennung verbundenen Kosten zu ermitteln. Das Ergebnis wird den Gremien bis zum 4. Quartal 2022 vorgelegt.

 

1.3 Das Beteiligungsverfahren der Landauer Bürgerinnen und Bürger hat das Ziel, eine Empfehlung zur Frage einer möglichen Straßenumbenennung sowie Vorschläge für eine mögliche Straßenneubenennung zu erarbeiten. Das Ergebnis wird den Gremien voraussichtlich bis Ende des Jahres 2022 vorgelegt.

 

2.   Die dann erforderlichen Beschlüsse für eine mögliche Straßenumbenennung samt Straßenneubenennung werden jeweils separat beraten und gefasst.

 

 


Der Vorsitzende verwies auf die Sitzungsvorlage des Archiv und Museums vom 11. März 2022, auf die hingewiesen wird. Es würden jetzt umfangreiche Unterlagen vorliegen, die Frau Kohl-Langer erläutern werde. Man habe eine kritische Beleuchtung der 163 Straßennamen in Landau vorgenommen. Landau sei in dieser Diskussion nicht alleine unterwegs, man wolle aber zu einer Landauer Lösung kommen. Das Archiv und Museum habe eine systematisch tiefgreifende Arbeit vorgelegt. Daraus ergebe sich, dass 18 Straßen und Plätze kritisch zu sehen seien. Man habe nun eine sachliche Grundlage für die jetzt anstehende Diskussion.

 

Frau Kohl-Langer, Leiterin des Archiv und Museum, unterstrich, dass die Beschäftigung mit den Namen der Straßen und Plätze ein wichtiger Prozess in der Landauer Erinnerungskultur sei. Dieser Prozess müsse transparent, bürgerbeteiligt und identitätsstiftend sein. Man habe alle 163 Namen überprüft. Landau habe einige Besonderheiten, die man natürlich erhalten wolle. Besonders in der Kritik stehe dabei das Fliegerviertel. Auch andere Städte würden sich mit diesem Thema beschäftigen und man habe selbstverständlich auch entsprechende Expertisen eingeholt. Besonders interessant sei hier die Freiburger Studie. Insgesamt habe man acht Bewertungskriterien entwickelt:

 

  • Die Namensgeber lebten und wirkten in der NS-Zeit von 1933 bis 1945 und waren aktive Förderer des Nationalsozialismus und in führender Stellung als Multiplikatoren tätig. 
  • Aggressiver Antisemitismus/Antijudaismus bei solchen Personen, die Multiplikatoren darstellten und über entsprechenden Einfluss verfügten. 
  • Extremer Rassismus in Theorie und /oder Praxis
  • Befürwortung des Kolonialismus
  • Medizinverbrechen
  • Militarismus in Form der Glorifizierung des Ersten Weltkriegs
  • Extreme, unzeitgemäße Frauenfeindlichkeit
  • Namensgeber erweisen sich durch eigene Taten und Aktivitäten nach 1945 als nicht mehr würdig

 

Man habe dann vier Kategorien gebildet, um den Umgang mit den Straßenbenennungen zu bewerten. Kategorie A „erheblich belastet“ mit der Konsequenz, die Straßen umzubenennen. Hierzu würden die Hindenburgstraße und die Kohl-Larsen-Straße gehören. In der Kategorie B „teilweise belastet, diskussionswürdig“ schlage man vor Zusatzinformationen am Straßenschild anzubringen. Hierzu zähle das Fliegerviertel, die Georg-Reiß-Straße, die Hermann-Staudinger-Straße, die Jahnstraße und der Jahnsportplatz sowie die Wilhelm-Wüst-Straße. Dann gebe es die Kategorie B1, bei der man weitere Forschungsergebnisse abwarten sollte. Hier gehe es um die Hans-Stempel-Straße, bei der ein erstes Forschungsergebnis im Sommer 2022 vorliegen werde sowie um die Sauerbruchstraße, zu der eine entsprechende Expertise im Jahr 2023 zu erwarten sei. Schließlich gebe es noch die Kategorie C, bei der es vorerst keine weiteren Maßnahmen geben soll aber eine zusätzliche Expertise notwendig sei. Hier sehe man vor allem die Adolf-Kessler-Straße im Vordergrund, aber auch die Bismarckstraße, die Martin-Luther-Straße, die Moltkestraße und die Robert-Koch-Straße würden in diese Kategorie fallen.

Von Seiten der Verwaltung wolle man vier Empfehlungen geben. Zum einen die Beibehaltung der Landauer Besonderheiten, diese jedoch erklären, problematisieren und öffentlich kontexttualisieren. Für die Hindenburgstraße und die Kohl-Larsen-Straße empfehle man auf der Grundlage eines bürgerbeteiligten Prozesses die Umbenennung der Straßen. Als drittes empfehle man die Erarbeitung eines Konzeptes der öffentlichen Kontextualisierung vor allem der nach Personen benannten Straßen. Dies könne beispielsweide in Form von QR-Codes oder von Erklärungstafeln erfolgen. Schließlich rege man an, weitere Expertisen einzuholen.

 

Ratsmitglied Saßnowski dankte dem Archiv für die umfangreiche Arbeit. Sie tue sich schwer mit der Einteilung, dass Personen in der NS-Zeit als Multiplikatoren tätig gewesen sein müssen. Es sei klar, dass man sich am Anfang eines Prozesses befinde. Man finde es richtig, diese 18 Namen zu kontextualisieren. Auch den Vorschlag, die Hindenburgstraße und die Kohl-Larsen-Straße umzubenennen, begrüße man. Es sei gut, hier jetzt den ersten Schritt zu gehen. Allerdings sollte man sich nicht zu früh festzulegen, dass es bei diesen zwei Straßen bleibe. Der Punkt 1.2 der Beschlussvorlage sei hierfür ein exemplarischer Weg. Eine Umbenennung müsse zu den Bedingungen erfolgen, die der Stadtrat beschlossen habe. Dies bedeute, dass es bei einer Umbenennung Frauennamen sein müssten.

 

Ratsmitglied Lerch unterstrich, dass man nun eine historische Einschätzung habe und das Thema breit und umfassend aufbereitet sei. Man habe Verfahrensvorschläge und auch den Vorschlag für eine umfassende Bürgerbeteiligung. Dies sei eine gute Grundlage, um das Verfahren grundsätzlich anzugehen. Die vorliegende Expertise sei eine sehr gute Arbeit und ermögliche es, das Thema im historischen Kontext zu sehen. Wesentlich für die CDU sei die Einbeziehung der Bewohner der betroffenen Straßen. Die Anwohner der Straßen seien die eigentlich betroffenen, daher müsse deren Meinung gewichtet werden. Es müsse daher dort eine echte Bürgerbeteiligung unter Mitwirkung des Beteiligungsrates und einem Votum der Anwohner geben. Unter diesen Prämissen stimme die CDU-Stadtratsfraktion der Sitzungsvorlage zu.

 

Ratsmitglied Schwarzmüller stimmte für die SPD-Stadtratsfraktion der Vorlage im Grunde zu. Bei Punkt 1.2 hätte man gerne eine Vorlage schon im 2. Quartal 2022 und im Punkt 1.3 sollte das Wort „voraussichtlich“ gestrichen werden. Wichtig sei die Bürgerbeteiligung, aber es stelle sich die Frage, ob man grundsätzlich umbenenne. Vor diesem Hintergrund mache auch der Antrag der LINKE keinen Sinn.

 

Der Vorsitzende stellte klar, dass über eine Umbenennung separat zu beraten und beschließen sei. Man brauche hier einfach noch die entsprechende Zeit.

 

Ratsmitglied Freiermuth betonte, dass es eben nicht nur Weiß und Schwarz gebe, sondern auch viel Grau dabei sei. So gebe es auch auf die Person Hindenburg unterschiedliche Blickwinkel. Man müsse auch den Mut haben, auch zu seiner Geschichte zu stehen. Gut fände man es, wenn man zusätzliche Infoschilder anbringen würde.  Blickwinkel würden sich verändern, daher werde man der Geschichte nicht gerecht wenn man den jeweiligen Status quo für absolut erkläre. Den CDU-Vorschlag halte man für grundsätzlich richtig, auch die Anwohner der Straße zu befragen. Aber auch die anderen Bürger sollten ihre Meinung dazu sagen können. Die FWG-Stadtratsfraktion werde der Vorlage grundsätzlich zustimmen.

 

Ratsmitglied Dr. Migl sah in der vorgelegten Expertise eine gute Grundlage, die allerdings zu lange gedauert habe. Sie hielte es für besser, wenn man ein Bürgerbeteiligungsverfahren mache, dass alle Bürger einbeziehe und nicht nur die Anwohner. Mit den Ergebnissen der Expertise sei sie sehr einverstanden, man sollte jetzt mit der Umbenennung dieser beiden Straßen beginnen. Es sei angebracht, jetzt mal zu Potte zu kommen. Die Pfeffer und Salz-Stadtratsfraktion stimme zu.

 

Ratsmitglied Dr. Wissing lehnte für die FDP-Stadtratsfraktion die Umbenennung von Straßen ab. Der Aufwand stehe in keinem Verhältnis. Sie sei der Meinung, dass man sich seiner Geschichte und Vergangenheit nicht entziehen könne. Eine Kontextualisierung finde sie grundsätzlich gut, wobei man das Geld hierfür auch sinnvoller einsetzen könne. Wenn man eine Bürgerbeteiligung mache, dann bitte unter den Anwohnern der betroffenen Straßen, da diese auch die Kosten und die Belastungen zu tragen hätten. Sie wolle daher einer Umbenennung von Straßen nicht zustimmen.

 

Ratsmitglied Emmerich unterstrich, dass dies ein schwieriges Thema sei. In der Diskussion zeige sich auch, dass es ein sehr kontroverses Thema sei. Es sei durchaus richtig, dass eine Straßenumbenennung Aufwand und Kosten bedeute. Aber man müsse sich der Geschichte stellen. Die angedachte Bürgerbeteiligung sei eine gute Idee, aber nur die Anwohner der betroffenen Straßen zu befragen wäre der falsche Weg.  

 

Der Vorsitzende machte nochmal deutlich, dass die Anträge mit in die Diskussion aufgenommen werden sollen.

 

Ratsmitglied Lerch stellte klar, dass natürlich alle Bürgerinnen und Bürger Landaus ihre Meinung bei Straßenbenennungen kundtun könnten. Letztlich entscheide der Stadtrat als gewähltes Vertretungsorgan. Man sei aber der Meinung, dass das Votum der Anwohner ein wichtiges Kriterium sein sollte.

 

Ratsmitglied Dr. Blinn widersprach der Argumentation von Herrn Freiermuth. Eine Straßenumbenennung sei keine Umschreibung der Geschichte. Straßennamen seien in erster Linie Hilfsmittel zur räumlichen Orientierung.

 

Ratsmitglied Saßnowski unterstützte die Ausführungen von Herrn Dr. Blinn. Zu seiner Geschichte zu stehen bedeute nicht, Augen und Ohren zuzumachen. Man müsse aber Mut haben, Geschichte nicht zu ignorieren, sondern müsse Konsequenzen daraus ziehen.         

  


Der Hauptausschuss beschloss mehrheitlich mit 15 Ja- und 1 Nein-Stimme nachfolgenden