Sitzung: 22.03.2022 Hauptausschuss
Beschluss: mehrheitlich beschlossen
Abstimmung: Ja: 15, Nein: 1, Enthaltungen: 0, Befangen: 0
Vorlage: 420/009/2022
Beschlussvorschlag:
1.
Der Stadtrat nimmt die historische
Expertise des Archivs und Museums zur Kenntnis und stimmt folgendem Verfahren
zu:
1.1 Die
Verwaltung erarbeitet ein Konzept zur Kontextualisierung der 18 Straßen, Wege
und Plätze, die nach Personen benannt wurden und deren Biografien als
problematisch angesehen werden. Dieses wird bis zum 4. Quartal 2022 den
Gremien vorgelegt.
1.2 Für
die beiden Straßen (Hindenburgstraße und Kohl-Larsen-Straße), die kritisch zu
hinterfragen sind und für die die Verwaltung die Straßenumbenennungen
vorschlägt, wird die Verwaltung beauftragt, über den städtischen
Beteiligungsrat ein Bürgerbeteiligungsverfahren einzuleiten, einen Zeitplan zu
erstellen, juristische Folgerungen zu prüfen und die mit einer möglichen
Straßenumbenennung verbundenen Kosten zu ermitteln. Das Ergebnis wird den
Gremien bis zum 4. Quartal 2022 vorgelegt.
1.3 Das
Beteiligungsverfahren der Landauer Bürgerinnen und Bürger hat das Ziel, eine
Empfehlung zur Frage einer möglichen Straßenumbenennung sowie Vorschläge für
eine mögliche Straßenneubenennung zu erarbeiten. Das Ergebnis wird den Gremien
voraussichtlich bis Ende des Jahres 2022 vorgelegt.
2.
Die dann erforderlichen Beschlüsse für
eine mögliche Straßenumbenennung samt Straßenneubenennung werden jeweils
separat beraten und gefasst.
Der Vorsitzende verwies auf die Sitzungsvorlage des Archiv
und Museums vom 11. März 2022, auf die hingewiesen wird. Es würden jetzt
umfangreiche Unterlagen vorliegen, die Frau Kohl-Langer erläutern werde. Man
habe eine kritische Beleuchtung der 163 Straßennamen in Landau vorgenommen.
Landau sei in dieser Diskussion nicht alleine unterwegs, man wolle aber zu
einer Landauer Lösung kommen. Das Archiv und Museum habe eine systematisch
tiefgreifende Arbeit vorgelegt. Daraus ergebe sich, dass 18 Straßen und Plätze
kritisch zu sehen seien. Man habe nun eine sachliche Grundlage für die jetzt
anstehende Diskussion.
Frau Kohl-Langer, Leiterin des Archiv und Museum,
unterstrich, dass die Beschäftigung mit den Namen der Straßen und Plätze ein
wichtiger Prozess in der Landauer Erinnerungskultur sei. Dieser Prozess müsse
transparent, bürgerbeteiligt und identitätsstiftend sein. Man habe alle 163
Namen überprüft. Landau habe einige Besonderheiten, die man natürlich erhalten
wolle. Besonders in der Kritik stehe dabei das Fliegerviertel. Auch andere
Städte würden sich mit diesem Thema beschäftigen und man habe
selbstverständlich auch entsprechende Expertisen eingeholt. Besonders
interessant sei hier die Freiburger Studie. Insgesamt habe man acht
Bewertungskriterien entwickelt:
- Die Namensgeber lebten und wirkten in der NS-Zeit von 1933 bis
1945 und waren aktive Förderer des
Nationalsozialismus und in führender
Stellung als Multiplikatoren tätig.
- Aggressiver Antisemitismus/Antijudaismus
bei solchen Personen, die Multiplikatoren darstellten und über
entsprechenden Einfluss verfügten.
- Extremer Rassismus in
Theorie und /oder Praxis
- Befürwortung des Kolonialismus
- Medizinverbrechen
- Militarismus in Form der Glorifizierung des Ersten
Weltkriegs
- Extreme, unzeitgemäße Frauenfeindlichkeit
- Namensgeber erweisen sich durch eigene Taten und Aktivitäten nach 1945 als nicht mehr würdig
Man habe dann vier
Kategorien gebildet, um den Umgang mit den Straßenbenennungen zu bewerten.
Kategorie A „erheblich belastet“ mit der Konsequenz, die Straßen umzubenennen.
Hierzu würden die Hindenburgstraße und die Kohl-Larsen-Straße gehören. In der
Kategorie B „teilweise belastet, diskussionswürdig“ schlage man vor
Zusatzinformationen am Straßenschild anzubringen. Hierzu zähle das
Fliegerviertel, die Georg-Reiß-Straße, die Hermann-Staudinger-Straße, die
Jahnstraße und der Jahnsportplatz sowie die Wilhelm-Wüst-Straße. Dann gebe es
die Kategorie B1, bei der man weitere Forschungsergebnisse abwarten sollte.
Hier gehe es um die Hans-Stempel-Straße, bei der ein erstes Forschungsergebnis
im Sommer 2022 vorliegen werde sowie um die Sauerbruchstraße, zu der eine
entsprechende Expertise im Jahr 2023 zu erwarten sei. Schließlich gebe es noch
die Kategorie C, bei der es vorerst keine weiteren Maßnahmen geben soll aber
eine zusätzliche Expertise notwendig sei. Hier sehe man vor allem die
Adolf-Kessler-Straße im Vordergrund, aber auch die Bismarckstraße, die
Martin-Luther-Straße, die Moltkestraße und die Robert-Koch-Straße würden in
diese Kategorie fallen.
Von Seiten der
Verwaltung wolle man vier Empfehlungen geben. Zum einen die Beibehaltung der
Landauer Besonderheiten, diese jedoch erklären, problematisieren und öffentlich
kontexttualisieren. Für die Hindenburgstraße und die Kohl-Larsen-Straße
empfehle man auf der Grundlage eines bürgerbeteiligten Prozesses die
Umbenennung der Straßen. Als drittes empfehle man die Erarbeitung eines
Konzeptes der öffentlichen Kontextualisierung vor allem der nach Personen
benannten Straßen. Dies könne beispielsweide in Form von QR-Codes oder von
Erklärungstafeln erfolgen. Schließlich rege man an, weitere Expertisen
einzuholen.
Ratsmitglied
Saßnowski dankte dem Archiv
für die umfangreiche Arbeit. Sie tue sich schwer mit der Einteilung, dass
Personen in der NS-Zeit als Multiplikatoren tätig gewesen sein müssen. Es sei
klar, dass man sich am Anfang eines Prozesses befinde. Man finde es richtig,
diese 18 Namen zu kontextualisieren. Auch den Vorschlag, die Hindenburgstraße
und die Kohl-Larsen-Straße umzubenennen, begrüße man. Es sei gut, hier jetzt
den ersten Schritt zu gehen. Allerdings sollte man sich nicht zu früh
festzulegen, dass es bei diesen zwei Straßen bleibe. Der Punkt 1.2 der
Beschlussvorlage sei hierfür ein exemplarischer Weg. Eine Umbenennung müsse zu
den Bedingungen erfolgen, die der Stadtrat beschlossen habe. Dies bedeute, dass
es bei einer Umbenennung Frauennamen sein müssten.
Ratsmitglied
Lerch unterstrich, dass man
nun eine historische Einschätzung habe und das Thema breit und umfassend
aufbereitet sei. Man habe Verfahrensvorschläge und auch den Vorschlag für eine
umfassende Bürgerbeteiligung. Dies sei eine gute Grundlage, um das Verfahren
grundsätzlich anzugehen. Die vorliegende Expertise sei eine sehr gute Arbeit
und ermögliche es, das Thema im historischen Kontext zu sehen. Wesentlich für die
CDU sei die Einbeziehung der Bewohner der betroffenen Straßen. Die Anwohner der
Straßen seien die eigentlich betroffenen, daher müsse deren Meinung gewichtet
werden. Es müsse daher dort eine echte Bürgerbeteiligung unter Mitwirkung des
Beteiligungsrates und einem Votum der Anwohner geben. Unter diesen Prämissen
stimme die CDU-Stadtratsfraktion der Sitzungsvorlage zu.
Ratsmitglied
Schwarzmüller stimmte für
die SPD-Stadtratsfraktion der Vorlage im Grunde zu. Bei Punkt 1.2 hätte man
gerne eine Vorlage schon im 2. Quartal 2022 und im Punkt 1.3 sollte das Wort
„voraussichtlich“ gestrichen werden. Wichtig sei die Bürgerbeteiligung, aber es
stelle sich die Frage, ob man grundsätzlich umbenenne. Vor diesem Hintergrund
mache auch der Antrag der LINKE keinen Sinn.
Der Vorsitzende stellte klar, dass über eine Umbenennung
separat zu beraten und beschließen sei. Man brauche hier einfach noch die
entsprechende Zeit.
Ratsmitglied
Freiermuth betonte, dass es
eben nicht nur Weiß und Schwarz gebe, sondern auch viel Grau dabei sei. So gebe
es auch auf die Person Hindenburg unterschiedliche Blickwinkel. Man müsse auch
den Mut haben, auch zu seiner Geschichte zu stehen. Gut fände man es, wenn man
zusätzliche Infoschilder anbringen würde.
Blickwinkel würden sich verändern, daher werde man der Geschichte nicht
gerecht wenn man den jeweiligen Status quo für absolut erkläre. Den
CDU-Vorschlag halte man für grundsätzlich richtig, auch die Anwohner der Straße
zu befragen. Aber auch die anderen Bürger sollten ihre Meinung dazu sagen
können. Die FWG-Stadtratsfraktion werde der Vorlage grundsätzlich zustimmen.
Ratsmitglied Dr.
Migl sah in der vorgelegten
Expertise eine gute Grundlage, die allerdings zu lange gedauert habe. Sie
hielte es für besser, wenn man ein Bürgerbeteiligungsverfahren mache, dass alle
Bürger einbeziehe und nicht nur die Anwohner. Mit den Ergebnissen der Expertise
sei sie sehr einverstanden, man sollte jetzt mit der Umbenennung dieser beiden
Straßen beginnen. Es sei angebracht, jetzt mal zu Potte zu kommen. Die Pfeffer
und Salz-Stadtratsfraktion stimme zu.
Ratsmitglied Dr.
Wissing lehnte für die
FDP-Stadtratsfraktion die Umbenennung von Straßen ab. Der Aufwand stehe in
keinem Verhältnis. Sie sei der Meinung, dass man sich seiner Geschichte und
Vergangenheit nicht entziehen könne. Eine Kontextualisierung finde sie
grundsätzlich gut, wobei man das Geld hierfür auch sinnvoller einsetzen könne.
Wenn man eine Bürgerbeteiligung mache, dann bitte unter den Anwohnern der
betroffenen Straßen, da diese auch die Kosten und die Belastungen zu tragen
hätten. Sie wolle daher einer Umbenennung von Straßen nicht zustimmen.
Ratsmitglied
Emmerich unterstrich, dass
dies ein schwieriges Thema sei. In der Diskussion zeige sich auch, dass es ein
sehr kontroverses Thema sei. Es sei durchaus richtig, dass eine
Straßenumbenennung Aufwand und Kosten bedeute. Aber man müsse sich der
Geschichte stellen. Die angedachte Bürgerbeteiligung sei eine gute Idee, aber
nur die Anwohner der betroffenen Straßen zu befragen wäre der falsche Weg.
Der Vorsitzende machte nochmal deutlich, dass die Anträge
mit in die Diskussion aufgenommen werden sollen.
Ratsmitglied
Lerch stellte klar, dass
natürlich alle Bürgerinnen und Bürger Landaus ihre Meinung bei
Straßenbenennungen kundtun könnten. Letztlich entscheide der Stadtrat als
gewähltes Vertretungsorgan. Man sei aber der Meinung, dass das Votum der
Anwohner ein wichtiges Kriterium sein sollte.
Ratsmitglied Dr.
Blinn widersprach der
Argumentation von Herrn Freiermuth. Eine Straßenumbenennung sei keine
Umschreibung der Geschichte. Straßennamen seien in erster Linie Hilfsmittel zur
räumlichen Orientierung.
Ratsmitglied
Saßnowski unterstützte die
Ausführungen von Herrn Dr. Blinn. Zu seiner Geschichte zu stehen bedeute nicht,
Augen und Ohren zuzumachen. Man müsse aber Mut haben, Geschichte nicht zu
ignorieren, sondern müsse Konsequenzen daraus ziehen.
Der Hauptausschuss beschloss mehrheitlich mit 15 Ja- und 1 Nein-Stimme nachfolgenden